Am Rande eines Dorfes lebten eine arme Frau und ihr Sohn Hans. Sie hatten keine großen Besitztümer, nur eine Kuh und ihre Milch. Jeden Morgen trugen sie die Milch zum Markt und verkauften sie dort.
Aber eines Tages gab die Kuh keine Milch mehr. Nicht ein Tropfen kam aus ihren Zitzen.
„Was sollen wir jetzt nur tun?“, klagte Hans' Mutter.
„Hab keine Angst, Mutter, ich werde losgehen und Arbeit suchen“, beruhigte sie Hans.
„Wir haben schon oft nach einer Arbeit gesucht. Es ist heutzutage schwer, etwas zu finden. Uns bleibt nur ein Ausweg: Wir müssen unsere Kuh verkaufen”, entschied die Mutter.
„Gut, ich werde also gleich mit ihr auf den Markt gehen und einen Käufer finden”, stimmte Hans zu. Er polierte die Glocke, die die Kuh um den Hals trug, band ihr einen Strick um die Hörner und ging dann mit ihr fort.
Er war noch nicht weit gegangen, als ihm ein seltsames altes Männlein begegnete. Es war klein, hatte strubbelige Haare und summte etwas vor sich hin.
„Guten Morgen, mein Junge. Wohin des Weges?”, fragte das Männlein.
„Auch Euch einen schönen guten Morgen. Ich gehe auf den Markt, um diese Kuh zu verkaufen”, antwortete Hans.
„Ja, mein Junge, du siehst wahrlich aus wie jemand, der eine Kuh verkaufen will! Nun, sie sieht gesund aus. Ich würde sie kaufen, aber ich habe kein Geld. Ich habe nur fünf Bohnen in der Tasche”, erklärte ihm das merkwürdige Männlein. Der Alte streckte Hans seine Hand hin, in der fünf Bohnen lagen. Sie hatten eine seltsame Kerbe, wie Hans sie noch nie gesehen hatte. „Und weißt du was?“, fuhr der Alte fort. „Ich bin tatsächlich bereit, dir diese fünf Bohnen für deine Kuh zu geben.“
„Wollt Ihr mich für dumm verkaufen? Wer würde schon eine Kuh für ein paar Bohnen tauschen?”, protestierte Hans.
„Mein Junge, es sind keine gewöhnlichen Bohnen. Wenn du sie am Abend einpflanzt, so sind sie am Morgen bis zum Himmel hinaufgewachsen”, erklärte er ihm.
Hans ließ sich schließlich doch überreden und verkaufte die Kuh an den Alten für die fünf Bohnen. Wieder zu Hause rannte er sofort zu seiner Mutter, um ihr von seinem guten Geschäft zu berichten.
Seine Mutter staunte nicht schlecht. „Oh, Hans! Bist du schon zurück? Hast du einen guten Preis für die Kuh bekommen? Sag mir, waren es zehn Taler? Nein? Dann vielleicht zwölf? Auch nicht? Doch nicht etwa fünfzehn? Oder gar zwanzig?!“, rief sie ungläubig.
„Mutter, schau, für unsere Kuh bekam ich diese fünf Zauberbohnen!”, rief Hans begeistert und streckte ihr die Hand mit den Bohnen hin.
„Was redest du da? Zauberbohnen? Das sind doch ganz gewöhnliche Bohnen! Und du hast sie gegen unsere Kuh eingetauscht!! Ach Gott, jetzt ist uns wirklich nichts geblieben. Wir beide werden noch verhungern! Aus den lumpigen Bohnen kann ich nicht einmal eine Suppe kochen. Zum Fenster raus – dahin gehören sie!” Sie öffnete das Fenster und warf die Bohnen hinaus.
Mit hängendem Kopf verzog sich Hans in sein Kämmerlein. Wie konnte er jetzt nur Geld oder etwas zu Essen besorgen? Er zerbrach sich den Kopf darüber, aber es fiel ihm nichts ein. Mit knurrendem Magen war es aber auch wirklich schwer zu denken. Er war auch sehr traurig, dass er sich hatte reinlegen lassen und seine Mutter jetzt unglücklich war. Vor lauter Kummer konnte er lange nicht einschlafen.
Am Morgen weckte ihn das laute Zwitschern eines Vogels. Er sprang aus dem Bett und trat ans Fenster. Dreimal rieb er sich die Augen und er kniff sich sogar in den Arm. Er war sich nicht sicher, ob er schon wach war oder noch träumte. Draußen auf dem Hof war bis zum Morgen eine gewaltige Bohnenranke gewachsen, fast wie ein Baum. Sie wuchs auch jetzt noch höher und höher, bis in die Wolken hinauf.
„Das Männlein hat doch die Wahrheit gesagt”, rief Hans und grinste von einem Ohr zum anderen. Schnell öffnete er das Fenster und besah sich die Bohnenranke, die wie eine gigantische Leiter zum Himmel ragte. Rasch stieg er aus dem Fenster und kletterte die Ranke hinauf. Er kletterte und kletterte, bis er endlich bei den Wolken angelangt war. Da sah er eine breite Straße, die zu einem Schloss führte. Hans sprang von der Ranke herunter und wanderte die Straße bis zum Schloss entlang.
Am Tor erwartete ihn das Männlein, das ihm die Zauberbohnen gegeben hatte. Um ihn herum leuchteten merkwürdige Lichter und er sah dadurch noch mysteriöser aus. Hans stemmte sich gegen das hohe Tor, das lautlos nachgab. Dahinter war ein schwerer Vorhang und Hans hörte seltsame Geräusche. Vorsichtig schob er den Vorhang ein wenig zur Seite und blickte in einen Raum voller Speisen und Schätze. An einem Tisch saß ein schrecklicher Riese und stopfte sich gerade mit riesigen Fleischstücken voll. Vor seinen Füßen saß eine goldene Henne, die goldene Eier legte. Auch gab es im Raum eine goldene Harfe, die eine zauberhafte Melodie spielte.
„Ach, wären diese Schätze nur unsere“, dachte Hans. Er sah sich bereits mit seiner Mutter sorglos und zufrieden leben, ohne Angst vor dem Hungertod.
Eine Weile beobachtete er den Riesen, der schmauste und dabei mit der Hand in einem Haufen von Goldstücken wühlte. Schließlich wurde er müde von dem vielen Essen und dem Wein und er schlief ein.
Da erschien neben Hans das seltsame Männlein, das ihm die Bohnen gegeben hatte, und flüsterte: „Der Riese ist gerade eingeschlafen. Jetzt kannst du etwas von seinen Schätzen nehmen. Aber sei vorsichtig und beeil dich!”
„Ich nehme einen Beutel voller Gold”, überlegte Hans und der Alte nickte zustimmend. Als Hans jedoch hörte, dass der Riese schnarchte wie ein alter Bär, beschloss er, noch mehr zu nehmen. Aber was? Da kam auf einmal die goldene Henne auf Hans zugelaufen. Er packte sie und in dem Moment fiel sein Blick auf die goldene Harfe.
„Die goldene Harfe”, sagte er, „ja, die muss ich auch mitnehmen. Ich habe noch nie so schöne Melodien gehört.”
Mit all den Schätzen beladen, ging Hans still fort. Doch da fing die Henne plötzlich an zu gackern und Hans hörte das laute Aufbrüllen des Riesen.
„Aber wo ist meine Henne? Wo ist meine Harfe? Und mein Gold? Stehenbleiben! Na warte! Ich kriege dich, du Dieb!”, rief der Riese mit mächtiger Stimme. Er sah den Jungen mit dem Goldsack, der Henne und der Harfe aus dem Schloss rennen und jagte ihm hinterher.
Hans lief, so schnell er konnte, um sich vor dem Riesen zu retten. Als er zu der Bohnenranke kam, kletterte er diese schnell hinunter. Und der Riese beobachtete entsetzt von oben, wie der kleine Dieb dabei war, zu entkommen. Wenn der Riese seine goldene Henne wiederhaben wollte, musste er all seinen Mut fassen und dem Dieb nachklettern. Also schwang sich auch der Riese auf die Bohnenranke und verfolgte den Jungen weiter. Hans kletterte immer schneller, der Wind sauste um seine Ohren, alles wirbelte um ihn herum und der Riese kam immer näher. Da rief er seiner Mutter am Boden zu: „Mutter, Mutter, hol schnell die Axt, beeile dich!”
Am Boden angekommen, griff er nach der Axt und begann, verzweifelt und mit aller Kraft auf die Bohnenranke einzuschlagen. Mit einem Mal stürzte die Bohnenranke laut krachend zu Boden und auch der Riese fiel hinunter und landete kopfüber in einem Teich.
Eine gefühlte Ewigkeit starrten Hans und seine Mutter auf den Teich. Sie hatten große Angst, dass der Riese doch noch auftauchen und sich seine Schätze wiederholen könnte. Doch das Wasser war ruhig und schließlich atmeten die beiden erleichtert auf. Die riesige Bohnenranke verschwand langsam und nach einigen Stunden war keine Spur mehr von ihr mehr zu sehen.
Endlich fielen sich Hans und seine Mutter erleichtert in die Arme. Alles war gut ausgegangen. Von nun an lauschten sie jeden Tag den lieblichen Melodien der Harfe und sammelten die goldenen Eier der Henne. Sie vergaßen den schrecklichen Riesen und lebten in Ruhe und Wohlstand. Hans wurde von diesem Tag an nur noch Hans Bohne genannt, da er den Zauberbohnen seinen ganzen Reichtum verdankte. Und bis zu seinem Tode erinnerte er sich immer wieder an sein Abenteuer, das ihn bis in den Himmel geführt hatte.