In der zweiten Etage unseres Hauses wohnt ein alter Mann. Früher, als ich noch nicht zur Schule ging, dachte ich, er sei erfunden. Denn ich hatte ihn nie gesehen. Bis ich ihn eines Tages zufällig im Aufzug traf.
„Welche Etage, Junge?“, fragte er mich mit trauriger Stimme.
„Sechste“, antwortete ich, den Blick zu Boden gesenkt. Meine Mutter hatte mich angewiesen, nicht mit Fremden zu sprechen. Und ich wusste ja nicht, dass der alte Mann kein Fremder, sondern unser Nachbar war.
„So hoch, fast bis zum Himmel“, versuchte der alte Herr zu scherzen, aber bei dem Wort Himmel hielt er inne und wurde noch trauriger.
Der Aufzug hielt im zweiten Stock.
„Schönen Tag noch, ich steige hier aus“, verabschiedete sich der alte Herr.
Das war unsere erste Begegnung. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals wieder getroffen zu haben. Aber manchmal sah ich ihn hinter dem Vorhang am Fenster sitzen und in die Ferne schauen, während wir auf dem Spielplatz spielten. Das war auch schon alles.
Aber heute war alles anders. Ich wollte ihn jetzt besuchen. Also lief ich die Treppe hinauf in den zweiten Stock bis vor die Wohnungstür des alten Mannes.
Ich klopfte. Hinter der Tür hörte ich ein Schlurfen, das sich näherte. Die Tür öffnete sich. Der alte Mann fragte nicht einmal, wer da ist. Er war überhaupt nicht vorsichtig. Als ob es ihn nicht interessierte.
„Hallo“, begrüßte ich ihn höflich.
Der alte Mann schaute mich an. Seine Augen waren sehr, sehr traurig.
„Hallo Junge, wir haben uns doch schon einmal getroffen. Du bist der Martin aus dem sechsten Stock, nicht wahr? Komm rein.“
Nach meiner Erfahrung mit Agatha, der ängstlichen Nachbarin aus dem ersten Stock, hatte ich wirklich nicht erwartet, dass ein Nachbar mich in seine Wohnung einlädt. Vorsichtig trat…